«Einer der wenigen Vorteile des Älterwerdens ist, dass man ganz ungeniert an seine Jugendzeit zurückdenken und von der ‘guten alten Zeit’ träumen kann. Und mit der Distanz, nicht nur der Jahre, sondern auch der Kilometer – oder Meilen in meinem Fall – wird alles noch viel schöner und lustiger. Wo soll ich bloss beginnen?
Der Zinngiesser Louis Della Bianca, der uns an seinem Arbeitsplatz duldete, wo wir staunend zusehen durften, wie der Zinn flüssig gemacht und dann gegossen wurde, und wie am Schluss die spektakulären Walliser Zinnkannen mit schöner Kette auf dem vollen Bauch in Reih und Glied da standen.
Der Schuhmacher Schnidrig, der mit der ganzen Familie oberhalb seines Ladens wohnte, und wo ich jahrelang einmal pro Woche hinpilgerte, um bei Marie-Therese Flötenstunden zu nehmen. Mit der Zeit avancierten Schami und ich zur Alt-Flöte und wurden zum Aushängeschild. Beim jährlichen Eltern- und Familienkonzert spielten wir zusammen. Ich kann die Melodie vom ‘Menuett der Prinzessin von Oranien’ noch heute auswendig spielen und realisierte erst viele Jahre später, dass dieses Musikstück tatsächlich für eine junge holländische Prinzessin geschrieben worden war. Diejenigen, die mich kennen, werden es kaum glauben, aber ich bin eigentlich sehr scheu. Beim Konzert litt ich Qualen, weil ich ständig Angst haben musste, dass der Witzbold Schami versuchen würde, mich zum Lachen zu bringen oder sonst etwas tun würde, was Schande auf mein Haupt bringen könnte!
Und dann war da der andere Schuhmacher, Herr Fankhauser. Sein Laden, direkt vis-à-vis vom Lebensmittel-Lädeli der Mutter meiner Schulkollegin, war nicht viel mehr als ein grösseres Loch in der Mauer. Die Tür war aber immer offen und auch das Fenster. Noch heute rieche ich das Leder und die diversen Leime und höre das Rattern seiner Schuh-Nähmaschine. Herr Fankhauser war aber nicht nur Schuhmacher, er gab ebenfalls Musikunterricht. Irgendwann wurde meine Flöte von einer Handorgel abgelöst und ich hatte einen viel weiteren Weg bis zu seinem Haus in den Kleegärten. Dann tauschte ich die Handorgel gegen eine Trompete von Leo, aber sie war für meinen jüngsten Bruder.
Wenn wir schon beim Musikunterricht sind, muss ich jetzt auch noch erwähnen, dass ich mir, als ich bereits ins Institut in Brig ging, eine Gitarre zu Weihnachten wünschte und auch bekam. Ich hatte Visionen von Lagerfeuer und Lieder in Gruppen singen, alles zu meiner Gitarren-Begleitung. Ich wurde zu einer Dame in Brig in den Unterricht geschickt. Dort musste ich dann einzelne Noten nach Blatt spielen lernen, also gar nicht, was ich mir vorgestellt hatte. Als ich dann schon etwas fortgeschrittener war, nahm sie von Zeit zu Zeit ihre Mandoline von der Wand und begleitete mich. Zum Glück hatte sie eine Wohnung im dritten Stock, so dass mich niemand sehen konnte, denn das war dann schon das Summum von altmodisch! So gingen auch meine Gitarrenträume den Weg alles Irdischen.
Für unsere himmlischen Gedanken sorgte Pfarrer Stoffel mit straffer Hand. Den Mädchen, die im Sommer mit Kniestrümpfen in die Kirche kamen, wurde die Kommunion verweigert, und direkt von der Kanzel herab erklärte er uns, dass das öffentliche Schwimmbad ein eigentlicher Sündenpfuhl sei. Kaplan Sarbach war nicht viel besser. Er wohnte in dem hübschen Holzhaus, mitten in einem Mini-Rebberg, direkt neben dem Schulhaus. Es war bekannt, dass er Gummibälle, die in den Garten flogen, zerschnitt. Auch war er schwerhörig. Es zirkulierten ständig Witze, was er wem im Beichtstuhl in Lautstärke sieben gesagt haben sollte.
Bei den Offiziellen von Visp muss man natürlich an erster Stelle Adolf Fux erwähnen. Nicht nur, weil er Bücher geschrieben hat, sondern weil er so viele Jahre Präsident von Visp war, dass er schon zum Inventar gehörte. Majestätisch radelte die langgestreckte Figur durch das Dorf. Ebenfalls zu den Offiziellen gehört der Flurhüter und Dorfpolizist Ghezzi. Als Kinder wurde uns meist nicht mit dem Schmutzli gedroht, sondern es hiess dann: ‘Wir holen den Ghezzi!’ Als wir einmal als Kinder neben einem Rebberg spielten und einige der bereits reifen Trauben assen, kam dann prompt ein Busszettel ins Haus. Irgendjemand hatte uns gesehen. Es waren wohl von den teuersten Trauben, die wir je gegessen hatten. Unsere Eltern waren aber so empört, dass man Kindern ein Verbal verpassen konnte, dass sie uns gar nicht so richtig ins Gebet nahmen.
Ich weiss nicht einmal, ob es die verschiedenen Altäre, die von Eyholz, Lalden und Baltschieder an ihrem Eingang zu Visp für die Fronleichnam-Prozession aufgestellt wurden, heute immer noch gibt. Die Mädchen, von denen damals noch viele lange Haare hatten, liefen tagelang mit Lockenwicklern im Zuckerwasser getränkten Haar herum, damit sie dann zum hohen Fest mit ihren Zapfenlocken auftrumpfen konnten. Wie beneidete ich sie, da ich immer kurze Haare hatte, die mir von Frau Schraner, einer Nachbarin, geschnitten wurden. Meine Brüder hingegen durften zum Coiffeur Lisi. Als einer von ihnen auf dem Stuhl einschlief sagte der Coiffeur: ‘Genau wie der Vater!’»
«So war mein Visp» – Teil 2 folgt
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Zürcher Mann, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam zogen sie nach Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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